(photo: ©Andrea Ilsemann)
Bloggerin Andrea erzählt uns in ihrem Gastbeitrag, wie ihre Liebe zum TSV 1860 München entstanden und gewachsen ist – ein blau-weißes Fußballmärchen.
„Ich bin Münchnerin, und das schon seit zwölf Jahren. Als ich in die bayerische Landeshauptstadt kam, hatte ich mit Fußball rein gar nichts am Hut. Als Fränkin hätte ich mich ja für den 1. FC Nürnberg interessieren können, das tat ich aber nicht. Als ich dann 2006 meinen Mann kennenlernte, hatte er leichtes Spiel mit der „Fußball-Jungfrau“: Wir hatten die Weltmeisterschaft im eigenen Land, überall war Euphorie und eine freundliche Stimmung. Viel wichtiger aber: Mein Mann nahm mich im Sommer (8.8.2016) zu einem Freundschaftsspiel der Lokalrivalen TSV 1860 München und FC Bayern München mit in die Allianz Arena. Was für ein Fest! Ich war beeindruckt von der Atmosphäre, vom Stadion, von der Mannschaft – die auch noch 3:0 gewann. Und diese Mannschaft war nicht an der Säbener Straße, sondern an der Grünwalder Straße zu Hause. Die Warnung meiner besseren Hälfte, dass das Ergebnis in der Regel anders ausfalle, schlug ich in den Wind. Die Saison hatten die Münchner Löwen im Keller der zweiten Bundesliga abgeschlossen. Es hatte natürlich Trainerwechsel gegeben, aber im Grunde war man zuversichtlich, dass der Wiederaufstieg nach dem Sturz aus der Bundesliga 2004, den ich ja selbst nicht miterlebt habe, nur eine Frage der Zeit war.
Stattdessen kamen viel Blut, Schweiß, Tränen und Strafgelder wegen zu spät nachgewiesener Liga-Tauglichkeit. Vereinsweite Depressionen darüber, Untermieter beim Erzrivalen in der Allianz Arena zu sein. Erleben, wie unsere besten Talente für geringe oder gar keine Summen die Stadt wechselten und bei Dortmund und Co. zu Höchstleistungen aufliefen. Hilfloses Zusehen, wie Misswirtschaft, die Stadionmiete und die sich summierenden Gehälter ausgetauschter Trainer die Kasse leerten. Schließlich ein arabischer Investor, von dem ich lange nicht wusste, ob er uns liebt oder insgeheim loswerden will. Fast traurig: Spott und Hohn der Bayern-Fans wurden nach und nach leiser, teils sogar mitleidig – die Löwen sind nicht mehr wichtig genug, auch wenn die Vereine rein rechnerisch nur eine Liga trennt. Am schlimmsten sind aber die leeren Ränge bei den Heimspielen. Wen wundert’s: Die Allianz Arena fasst rund 70.000 Besucher, der Zuschauerschnitt der Zweitligisten der Saison 2015/16 belief sich auf 6.000 bis knapp 31.000, die Löwen liegen mit 23.252 irgendwo in der Mitte.
Jetzt haben wir das Jahr 2016. Im vergangenen Jahr bin ich Mutter geworden. Mit zwei Wochen wurde mein Kind Mitglied im Verein, mit fünf Wochen posierte es auf dem Arm des völlig verzückten Rubin Okotie, heute österreichischer Nationalspieler, damals Stürmer und große Hoffnung der Löwengemeinde.
Man darf sich getrost fragen, welche Gründe es sind, einem solchen Verein die Treue zu halten. Die Antwort: Es geht halt einfach nicht ohne! Wie oft ich schon geschworen habe, dem ganzen Fußball den Rücken zu kehren! – Dann doch lieber Darts oder Curling? Das ist natürlich nicht möglich, nicht in unserer durch Fußball geprägten Gesellschaft, und nicht in meiner durch Fußball geprägten Partnerschaft. Aber selbst wenn: Sobald ich etwas Neues über die Löwen aufschnappe, spitze ich die Ohren, wähle die einschlägigen Websites an, lese die Artikel. Und wenn ich im Stadion bin, dann ist da das warme Gefühl in den Schoß der Familie zurückzukehren, egal wie lange der letzte Besuch her ist. Wenn es darauf ankommt, dann sind sie doch alle da und stehen wie ein trotziger Mann hinter der Mannschaft. Gänsehaut-Atmosphäre im Spiel. Löwen, kämpfen, siegen! Und ja, das können sie! Wenn es um alles oder nichts geht, werden die Zähne zusammen gebissen und das Unmögliche versucht. Die beiden vergangenen Spielzeiten zeigen, dass es doch nicht unmöglich ist; schließlich sind wir drin geblieben in der zweiten Liga. Auch dank eines Interimstrainers, der mehr als jeder andere Spieler oder Trainer diese Verbissenheit zum Ausdruck bringt: Daniel Bierofka. Der nur zu gerne in die zweite Mannschaft zurückkehrte, als sein Werk getan war – für ihn mehr als nur die zweite Reihe. Fleißig und bescheiden. Er wie viele andere Löwen-Spieler sind so nah an den Fans wie ich es mir bei keinem anderen Verein vorstellen kann. Ich habe ein Foto meines Sohnes, das mich daran erinnert.
Durchhaltevermögen, Treue und Leidenschaft sind durchaus Tugenden, die ich ihm wünsche. Diese Tugenden treffen nicht auf jeden zu, der unter dem Banner mit dem zweischwänzigen Löwen läuft, aber oft genug.
Da ist noch etwas, was mich an diesem Verein reizt: dieses Fünkchen Hoffnung, das jedes Jahr im Sommer wieder kehrt, wenn langsam die Zugänge für die nächste Saison bekannt gegeben werden, wenn ich höre, dass der neue Trainer wirklich einen Plan hat, dass die finanziellen Angelegenheit nicht nur den Mindeststandard sichern, sondern zum Träumen verleiten. Und selbst ein eigenes Löwen-Stadion ist keine reine Utopie mehr.
Sechzig ist speziell: Wer nur auf komfortables Entertainment und Bestätigung aus ist, wird bei diesem Verein nicht glücklich. Na ja, und sollte es dann doch mal wieder besser laufen, hätte ich mir das auch verdient.“ (ein Beitrag von Andrea Ilsemann)
photo credits: Andrea, Bloggerin bei http://lifeaintover.de